Muss Schlechtes schlecht sein?

Es gibt unzählige Dinge, die wir Menschen als "Schlecht" empfinden und es benötigt nicht einmal lange Zeit, um hier Beispiele anzufügen. Eigentlich reicht es schon, sich tagtäglich die Tagesschau, die Tagesthemen oder andere tagesaktuelle Nachrichten anzuschauen. Man sieht Kriege, Umweltkatastrophen, hört von Firmenpleiten und damit verbundene menschliche Schicksale - und selbst die Bundesligaergebnisse, die allwöchentlich verlesen werden, können bei manchem ein schlechtes Empfinden auslösen. Aber sind all die Schlechtigkeiten, die wir sehen, hören oder gar selbst erleben immer schlecht? Können sie nicht auch positiv sein?

Sicher: Im ersten Moment kann man nur das negative, das schlechte sehen. Im ersten Moment lässt man auch kaum Platz für anderes. Gerade, wenn man persönlich und unmittelbar betroffen ist. Aber wenn ein wenig Zeit verstrichen ist: Kann dann nicht selbst aus Schlechtem etwas positives entstehen? Oder kann nicht zumindest ein halbwegs positiver Gedanke aufkommen?

In einem Ort, nahe dem, in dem ich wohne, gibt es eine wenig befahrene Straße an einem Neubaugebiet. Eine Straße, in der zur Tageszeit schon wenig, in der Nacht gar kein Betrieb herrschte. In einer Nacht, von der Spätschicht kommend, fuhr ein Familienvater mit einem Roller diese Straße. Er wollte nach Hause. Vielleicht etwas essen. Sicherlich auch ins Bett. Er schaffte es nicht. Das Unglück, was geschah, es wäre anmaßend, hier noch von Pech zu sprechen.
Während der Mann die Straße am Neubaugebiet entlangfuhr, löste sich von einem Baukran ein Korb, der oben vollgepackt mit Utensilien zum Schutz vor Dieben angebracht war. Der Korb traf den Mann, dieser starb unmittelbar.

War das etwas schlechtes?

Ich würde sagen ja. Auf jeden Fall. Aber ist es nur schlecht?

Ich kenne die Familie nicht und kann auch nicht sagen, was daraus resultierte. Vielleicht schafften sie es nicht, nach der Trauerphase zurück zu kommen, ins Leben. Vielleicht wurde ihre - auch finanzielle - Existenz zerstört. Vielleicht.

Vielleicht konnten sie aber, nach einer gewissen Zeit eine innere Stärke aufbauen. Die Stärke, dass man durch das erlebte, ein anderes Bewusstsein für das Leben entwickeln konnte. Vielleicht zeigte es der Familie auch, dass man Glück nicht konservieren kann, nicht aufsparen kann, sondern das man Glück, wenn es einen erfasst, auch immer gelebt werden sollte.

Letztendlich weiß ich es nicht. Vielleicht hatte dieser Unfall nur den Sinn, dass neben der Familie und den Angehörigen noch eine Handvoll anderer Menschen, wie ich, darüber nachdachte.

Persönlich, als Optimist, sage ich mir: Es gibt mehr als schwarz und weiß - und sollte es doch einmal schwarz sein dann hoffe ich, dass ich immer noch sagen kann: Es ist nicht alles nur schlecht - und selbst das Schlechte bringt manchmal etwas gutes mit sich.



Nachtrag: Diese Geschichte schrieb ich zu einer Zeit, in der es auch in meiner Familie schon tragische Momente gab. Letztlich waren diese weniger "spektakulär" wir der geschilderte Fall, wenngleich sie für mich deutlich näher waren - weil es meine eigenen Erfahrungen waren. Bisher schaffe ich es immer mal wieder, auch etwas positives in dem Schlechten zu sehen. Sicherlich aber auch nicht immer.